[Grem] Die Zeit- Interview mit Gergely Karácsony: "Die Orbán-Regierung ist eine zynische Machtmaschine"
Emoke Greschik
greschem at gmail.com
2021. Aug. 3., K, 14:20:23 CEST
Gergely Karácsony: "Die Orbán-Regierung ist eine zynische Machtmaschine"
Gergely Karácsony will Ungarns nächster Ministerpräsident werden. Im
Interview erklärt der grüne Oberbürgermeister von Budapest, warum er gegen
Viktor Orbán antritt.
Interview: Muri Darida <https://www.zeit.de/autoren/D/Muri_Darida/index>
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-07/gergely-karacsony-ungarn-viktor-orban-praesidenschaft-budapest-buergermeister?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
[image: Gergely Karácsony: Gergely Karácsony, Oberbürgermeister von
Budapest, will Viktor Orbán 2022 als Ministerpräsidenten ablösen. Hier
spricht er bei Protesten gegen die von China finanzierte Fudan-Universität
in Budapest.]
Gergely Karácsony, Oberbürgermeister von Budapest, will Viktor Orbán 2022
als Ministerpräsidenten ablösen. Hier spricht er bei Protesten gegen die
von China finanzierte Fudan-Universität in Budapest. © Bernadett
Szabo/Reuters
*In den vergangenen elf Jahren hat Ungarns
<https://www.zeit.de/thema/ungarn> Ministerpräsident Viktor Orbán das Land
immer mehr zu einem autoritären Staat umgebaut. Zu den nächsten
Parlamentswahlen im Frühjahr 2022 tritt ein Oppositionsbündnis aus sechs
Parteien gegen den rechtsnationalen Orbán und seine Fidesz-Partei an. Der
grüne Oberbürgermeister von Budapest und** bekannte Regierungskritiker
Gergely Karácsony (46) will dessen Spitzenkandidat werden. Darüber
entscheiden allerdings erst die Vorwahlen am 18. September. Karácsonys
Chancen innerhalb des Bündnisses gelten als aussichtsreich, die Regierung
schaltet bereits landesweit YouTube-Kampagnen gegen den
Oppositionspolitiker. *
*Nach mehreren Anfragen findet Karácsony einen Termin für ein Interview.
Die Gänge des Budapester Rathauses sind leer, die meisten Mitarbeiter im
Sommerurlaub, auch der Oberbürgermeister hat eigentlich frei. Draußen zeigt
das Thermometer 34 Grad an. Karácsony, fast zwei Meter groß, trägt Shorts
und T-Shirt. Er sucht selten Blickkontakt und hält das Gespräch so kurz wie
möglich.*
Das Beste aus Z+: Europäische Union
<https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-07/polen-eu-recht-justizreform-rechtsprechung-nationales-recht-rechtsstaatlichkeit-polexit>
*ZEIT ONLINE: *Herr Karácsony, Sie wollen gegen Viktor Orbán
<https://www.zeit.de/thema/viktor-orban> antreten. Ihnen dürfte ein
schmutziger Wahlkampf bevorstehen, schon jetzt fährt die Orbán-Regierung
Kampagnen gegen Sie. Warum tun Sie sich das an?
*Gergely Karácsony: *Bevor Orbán 2010 Regierungschef wurde, hatten wir in
Ungarn ein scheinbar stabiles demokratisches System. Mein politisches Ziel
war es eigentlich, dazu beizutragen, dass in der ungarischen Politik auch
grüne Parteien vertreten sind. Ich habe damals nicht damit gerechnet, dass
der Fidesz beim Abbau der Demokratie dermaßen weit gehen würde. Jetzt
verstehe ich es als meine moralische Pflicht, gegen dieses System zu
kämpfen. Als Bürgermeister erlebe ich, wie meine Arbeit nahezu unmöglich
gemacht wird. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war der
Fall eines Krankenhauses für Obdachlose in Budapest
<https://www.zeit.de/thema/budapest>. Es liegt in einem vom Staat
gemieteten Gebäude. Die Regierung wollte mitten in der Pandemie den
Mietvertrag kündigen und alle Patienten auf die Straße setzen. Da habe ich
beschlossen, alles zu tun, um diese Regierung zu Fall zu bringen.
*Gergely Karácsony - 46, ist seit 2019 Oberbürgermeister von Budapest und
Co-Vorsitzender der grünen Partei Párbeszéd (dt. "Dialog"). Bei der
Parlamentswahl 2022 will er für das Oppositionsbündnis gegen Viktor Orbán
als Spitzenkandidat antreten. Umfragen zufolge gilt er als beliebtester
Oppositionspolitiker Ungarns.*
*ZEIT ONLINE:* In Budapest sind Sie als Lokalpolitiker beliebt. Auf dem
Land gilt die Bevölkerung aber als konservativer und Fidesz-treu.
*Karácsony: *Ich finde es falsch, wenn Politiker versuchen, die
Gesellschaft zwischen Stadt und Land zu spalten. Natürlich unterscheidet
sich das Leben der Menschen in Budapest von dem in den ländlichen Gebieten.
Aber es ist auch ein sehr kleines Land. Wenn sich in der Hauptstadt nichts
ändert, werden sich auch die anderen Gebiete nicht entwickeln.
*ZEIT ONLINE:* Inwiefern?
*Karácsony:* Eine der Ursachen für die große Armut auf dem Land ist die
Korruption des Orbán-Regimes. Viele Fidesz-Politiker besitzen riesige
Ländereien, die sie verpachten. Ich komme selbst vom Land und habe nicht
mein ganzes Leben in Budapest verbracht. Während des
Bürgermeisterwahlkampfs hat mich der Fidesz angegriffen, weil ich nicht aus
Budapest komme und Budapest deshalb nicht verstehen könnte. Jetzt greifen
sie mich an, weil ich in Budapest lebe und angeblich die ländlichen Gebiete
nicht verstünde.
*ZEIT ONLINE:* Wo werden Ihre Prioritäten liegen, sollten Sie die Wahl
gewinnen?
*Karácsony:*Ungarn <https://www.zeit.de/thema/ungarn> soll ein Rechtsstaat
nach europäischen Standards bleiben. Deshalb muss der Ab- und Umbau der
Demokratie rückgängig gemacht werden und Ungarn wieder näher an den Rest
der EU rücken. Außerdem ist die Einkommensschere zwischen Arm und Reich
sehr hoch. Wir brauchen einen grundlegenden politischen Wandel, um die
Einkommensunterschiede zu verringern. Der dritte Punkt ist, dass das Land
emotional stark gespalten ist. Es gibt unheimlich viel Hass, die Regierung
polarisiert ständig von Neuem und stachelt die Menschen gegeneinander auf.
Ich möchte das Land friedlicher machen.
*ZEIT ONLINE:* Wie wollen Sie das anstellen?
*Karácsony: *Die politische Strategie der Orbán-Regierung besteht darin,
stets auf wechselnde soziale Gruppen abzuzielen und künstliche Debatten zu
erzeugen. Dahinter steht das Kalkül, wichtige und für die Regierung
unangenehme Debatten aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen. Die
aktuelle Kampagne gegen LGBTQ-Personen
<https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-06/ungarn-gesetz-gegen-paedophilie-viktor-orban-selbstbestimmung-sexualitaet>
ist so eine Aktion. Man muss bedenken, dass die ungarische Gesellschaft
Umfragen zufolge sexuelle Minderheiten mehr und mehr akzeptiert. Aber die
Orbán-Regierung ist eine zynische Machtmaschine. Sie produziert ein
Feindbild, das es so vorher gar nicht gab. Zuvor hat sie dasselbe mit
Obdachlosen gemacht, davor wiederum mit George Soros...
*ZEIT ONLINE:* … dem vor langer Zeit in die USA ausgewanderten,
ungarischstämmigen Investor, der immer wieder Opfer antisemitischer Hetze
ist...
*Karácsony: *… davor mit Einwanderern oder mit der Europäischen Union
<https://www.zeit.de/2021/27/europaeische-union-ungarn-viktor-orban-streit>.
Währenddessen befinden wir uns mitten in einer globalen Krise, mehr als
30.000 Menschen sind in der Corona-Pandemie in Ungarn gestorben. Dazu
kommen der wachsende Einfluss Chinas,
<https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-05/ungarn-viktor-orban-corona-fidesz-eu>
der Pegasus-Abhörskandal, der Konflikt mit der Europäischen Union, die
Korruptionsfälle. Von alldem versucht Orbán abzulenken, indem er Stimmung
gegen gesellschaftliche Minderheiten macht und Pseudo-Debatten anzettelt.
Es ist jetzt unsere Aufgabe, die angegriffenen Gruppen nicht nur zu
verteidigen, sondern auch, die politischen Debatten wieder auf die wirklich
relevanten Themen zurückzuführen.
*ZEIT ONLINE: *Welche wären das?
*Karácsony: *Die aktuelle Anti-LGBTQ-Kampagne der Regierung etwa wurde
damit begründet, dass man Kinder vor "sexueller Propaganda" schützen müsse.
Das ist ein politischer Bluff. Ein großer Teil der Kinder in Ungarn lebt in
Armut, viele werden vom Bildungssystem benachteiligt oder sind Opfer von
häuslicher Gewalt. Es gäbe also genug zu tun, anstatt sie auf das
politische Schlachtfeld zu zerren. Ich habe schon vor der Kampagne der
Regierung immer wieder auf den Kampf gegen Kinderarmut aufmerksam gemacht.
Das ist wichtiger als von der Regierung aufgezwungene Identitätsdebatten.
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